FRAU AM WERK

Seit acht Tagen lerne ich Violine spielen und extemporiere schon. Die Marwitz spielt die zweite Violine und die Grumbkow lernt die Bassgeige, die Base das Cello des Herrn von Brandt. Es ist der reine Hexensabbat! Wir machen unsere Sache bereits so gut, dass alles entflieht, wenn wir unser Konzert beginnen! (Wilhelmine von Bayreuth)

Eigensinn, Freigeistigkeit, Unbeugsamkeit - Eigenschaften einer Künstlerin

„Wenn wir ein Frauenzimmer spielen sehen, so empfinden wir ein gewisses Gefühl des Unschicklichen, das, wie mir dünkt, den Eindruck des vorgetragenen Stücks selbst schwächt; Es entsteht aus Verbindung der Ideen zwischen körperlicher Bewegung, und der eigenen Kleidertracht des zweiten Geschlechts; und ich behaupte, es gibt gewisse Instrumente, die sich für jene eigenen Moden nicht schicken.
Es kommt uns also lächerlich vor, wenn wir ein Frauenzimmer in Poschen, noch schlimmer, allenfalls im Reifrock, am großen Violon erblicken; lächerlich, wenn wir sie, in großen, hin und her fliegenden Manschetten die Violin - lächerlich, wenn wir sie, in hoher Fontange, das Horn blasen sehen….
Zudem fordern jene Saiteninstrumente oft eine schnelle, heftige, gewaltsame, rasche Bewegung, die mir allerdings noch überdem deswegen komisch zu sein scheint, weil sie mit der anerkannten Schwäche des zweiten Geschlechts gar in keiner Beziehung steht. Überdem - der Stand des Weibes ist Ruhe - soll es sein, so gedenkt sich ihn wenigstens der Mann am liebsten, seines eigenen Vorteils wegen; aber eine Folge von Nebenideen, in welche die Seele durch das heftige Streichen des Instruments gesetzt werden würde; würde auch mit diesem angenommenen Begriff von Ruhe streiten.“
(„Vom Kostüm des Frauenzimmer Spielens“, Carl Ludwig Junker, 1783)


Wir wollen solchen bizarren Demütigungen möglichst keinen Raum geben (!!) und doch muss man sich der Ideologie des weiblichen Rollenbildes  im 18. Jahrhundert wenigstens flüchtig zuwenden, um zu verstehen, welchen Mut, welchen künstlerischen Drang, welche innere Souveränität ein Frauenzimmer aufwenden musste, um sich als Musikerin zu behaupten. Selbstverständlich können wir unmöglich eine andere Zeit und damit eine andere Kultur durch die Brille unserer heutigen Wertvorstellungen verstehen geschweige denn beurteilen. Die Wirklichkeit ist (jederzeit) derart komplex, dass wir sie niemals wirklich erfassen können. Die Arbeit mit Alter Musik setzt (auch in dieser Hinsicht) deswegen die Bereitschaft voraus, auf endgültige Antworten und allumfassende Wahrheiten in gewisser Weise verzichten zu können und sich mit einem ewigen Annähern zufrieden zu geben. Objektive Urteile sind per se ausgeschlossen.
Betrachtet man die künstlerischen Biografien von Frauen des 17. und 18. Jahrhunderts, kann jedoch jenes unmöglich übersehen werden: Die Bedingungen waren in der Regel zumindest herausfordernd. Junkers Worte zitiere ich hier exemplarisch, sie sind kein Einzelfall und auch fast hundert Jahre später haben sich die Verhältnisse kaum gebessert. Karl Biedermann erdreistet sich 1856 folgender Worte:

Ich will hier nicht davon sprechen, dass das Bedürfnis geistiger Selbständigkeit, welches jeder freischaffenden, künstlerischen oder literarischen Tätigkeit beiwohnt, leicht und fast unbewusst auch zu einer gewissen genialen Ungebundenheit im gewöhnlichen Leben, zur Abweichung von den herkömmlichen Sitten und Formen, zu einem etwas keckeren Auftreten auch in der Gesellschaft verleitet - Eigenschaften, welche an dem Weibe doppelt auffallen und ihm bei der öffentlichen Meinung nur bei sehr entschiedenen Begabung, ja selbst dann kaum, zu Gute gehalten werden;
auch nicht davon, dass zur rechten Ausbildung künstlerischer oder literarischer Meisterschaft, gewöhnlich ein ganz besonderer Bildungsgang erfordert wird, Reisen ins Ausland, der Besuch von Kunstschulen, eigentümliche Studien mancherlei Art, ein lebendiger und vielseitiger Verkehr mit den verschiedenen Volksklassen u. dgl. mehr., wovon das Eine und Andere entweder dem weiblichen Kunstjünger nach den bestehenden Sitten und Einrichtungen schwer oder gar nicht zugänglich ist, oder doch gegen die dem weiblichen Geschlecht natürliche und durch das Herkommen geheiligte Zurückhaltung verstößt. Nur daran will ich erinnern, dass der natürlichste und höchste Beruf des Weibes, der Beruf als Gattin, Hausfrau und Mutter, mit der Ausübung einer künstlerischen oder schriftstellerischen Tätigkeit sich schwer verträgt und fast unausbleiblich darunter leiden muss. Das aber eine versemachende, malende oder musizierende Frau, von schmutzigen und zerlumpten Kindern umgeben, inmitten einer saloppen, liederlichen Wirtschaft, selber bei leidlicher Genialität dennoch kein anmutiges und liebenswürdiges Bild gewähre, darin glaube ich ihr weibliches Gefühl mit dem meinigen und dem der meisten Männer übereinstimmen.“

Jedoch driften Ideologie und Realität bekanntlich oft weit auseinander - und das sind sie, die „Ungehorsamen“:

BARBARA STROZZI, die in den Signori Unisoni, einer Art Salon des 17. Jahrhunderts, die führende Rolle mit ihren Kompositionen und ihren Diskussionsthemen einnimmt.

MARIANNE DE MARTINEZ, die in die sagenumwobene Accademia Filarmonica in Bologna aufgenommen wird und in Wien als so etwas wie eine musikalische Sensation gilt.

MARIA THERESA VON PARADIS, die eine mehrjährige Virtuosenreise unternimmt und zwar den Nachteilen, die reisenden Frauen zuteil werden und außerdem ihrer Blindheit zum Trotz.

LISE CHRISTIANI, die sich als erste Frau öffentlich und mit bahnbrechendem Erfolg an das Violoncello wagt.

MARIA ANNA MOZART, die in einem Haushalt mit fünf Kindern auf täglich drei Stunden ganz für sich und das Klavier niemals verzichten wird.

WILHELMINE VON BAYREUTH, die im Erwachsenenalter das Violinspiel erlernt und sich mit ihren Freundinnen dreist zu einem Streichensemble formiert.

ELEONORE PROCHASKA, die sich in Männerverkleidung dem Freikorps zum Widerstand gegen die napoleonische Unterdrückung anschließt, der Truppe im Moment der Schlacht mit einer Trommel zu Mut und Tapferkeit verhilft und noch im selben Gefecht ihren Wunden erliegt.

Glückliche Umstände, ein aufgeklärter Vater, Ziehvater oder Bruder, ein wohlwollender Ehemann oder ein hervorragender Lehrer werden künstlerische Laufbahnen von Frauen positiv beeinflusst haben - denn auch das ist klar: Nicht alle Männer waren misogyne Traditionalisten.
Sicher waren jedoch all diese und all die nicht genannten Frauen ebenso sehr mit Talent, Willenskraft und einem dicken Fell ausgestattet.

Veranstaltungen zum Thema Frauen und Musik im 17. und 18. Jahrhundert:

7./9./10./11. Juni '22 / GALERIE Oberursel

https://www.galerieoberursel.de/frau-am-werk/